Wendepunkt der Polizeibewaffnung: Der Miami Fire Fight 1986

Wenige Schusswechsel zwischen Polizisten und Kriminellen hatten so viel Konsequenzen für die Polizeibewaffnung wie der Miami Fire Fight am 11.4.1986. An diesem Tag trafen Bundespolizisten des Federal Bureau of Investigation (FBI) auf die beiden als gewalttätig bekannten und bewaffneten Bankräuber Platt und Matix. Die beiden Räuber waren ehemalige Angehörige der 101. Luftlandedivision der US Army und versiert im Umgang mit Schusswaffen. Im Verlaufe ihrer kriminellen Karriere legten sie immer wieder umgangreiche Trainingssequenzen in ihrem Rückzugsgebiet in den Everglades ein.

An der Konfrontation waren insgesamt sieben Polizisten beteiligt: die Agenten McNeill, Mireless, Grogan, Dove, Risner, Orrantia und Hanlon. Dove und Grogan wurden getötet, die anderen zum Teil schwer verletzt. Ebenso starben beide Verbrecher. Die FBI-Männer feuerten gesichert 70 Schuss ab, die Kriminellen 49. Die Verbrecher starben schließlich durch gezielte Schüsse des Agenten Mireless. Mireless lag am Boden und konnte seine Flinte verletzungsbedingt nur noch einarmig repetieren, es gelangen ihm jedoch mehrere Treffer. Schließlich konnte er sich mit letzter Kraft aufrichten und die beiden Kriminellen auf kürzeste Distanz einhändig mit seinem Revolver erschießen.
             
           
Die Bewaffnung sah wie folgt aus:
- Platt (Räuber): Selbstlader Ruger Mini 14 (223 Remington), Sechszölliger Smith & Wesson Revolver in .357 Magnum und sechszölliger Dan Wesson Revolver
- Matix (Räuber): 12/76 Schrotflinte Smith & Wesson 3000
- McNeill (FBI): zweizölliger .357 Magnum Revolver, geladen mit Patronen .38 Spezial
- Mireless (FBI): 12/76 Schrotflinte Remington 870
- Grogan (FBI): Pistole 9 x 19
- Dove (FBI): Pistole 9 x 19
- Risner (FBI): Pistole 9 x 19 und 38er Revolver
- Orrantia (FBI): vierzölliger .357er Revolver, geladen mit .38 Spezial
- Hanlon: zweizölliger .38er Revolver
                   
Auffällig ist an der Bewaffnung, dass alle Agenten vorschriftsgemäß mit 9 x 19 oder .38 Spezial Munition bewaffnet waren. Die beiden getöteten FBI-Männer starben durch Gewehrfeuer aus der Mini 14, obwohl deren Schütze Platt zuvor von einem 9 x 19 Hohlspitz-Geschoss in die Brust getroffen worden war. Das Geschoss war zwar zunächst in den Unterarm eingedrungen und erst dann in den Brustraum, aber die Kritik an der Wirkung der beiden damaligen Polizeikaliber war beträchtlich und setzte das FBI unter Zugzwang.
        
Der Ort der Schießerei

Munitionsleistung
Vor Miami war die Auswahl normaler FBI-Agenten und anderer Polizisten (anders als bei Spezialeinheiten wie dem FBI-Hostage Rescue Team oder lokale Spezialisten der Special Weapons and Tactics, kurz SWAT-Teams) auf die Revolverkaliber .38 und .357 sowie das ur-amerikanische Pistolenkaliber .45 ACP und das damals neue Attraktivität gewinnende 9 x 19 beschränkt gewesen. Revolver wurden wegen der größeren Munitionskapazität und der zunehmenden Zuverlässigkeit und Robustheit moderner Selbstladepistolen hinterfragt. Interessant ist, wie sehr die Patrone 9 x 19 in den USA Gegenstand von kollektiver Begeisterung der ganzen Waffen-Community (nicht nur der Dienstwaffenträger) war: „For those who were on duty in the mid-1980s, the 9 mm high-capacity semiautomatic pistols were hotter than pancakes at a hunter’ s breakfast. We suddenly had available to us a sidearm that would hold 15 to 20 rounds in one magazine.” (John Jacobs: Ammunition Evaluation and Selection. In: Marshall und Sanow). Zuvor hatten die Agenten sechs Schuss in der Revolvertrommel und noch sechs oder zwölf Schuss in ein bzw. zwei Speedloadern.
             
               
Das alles änderte sich 1986: „The deaths of Agents Grogan and Dove led to the most sweeping and dramatic changes in law enforcement that we have experienced in this century. Our training changed, our choice of firearms changed, our ammunition changed, and our perceptions of challenges we face changed”.
Erstaunlicherweise wurde vor dem Zwischenfall in Miami Munition von US-Polizeien genutzt, ohne dass es Polizeivorschriften darüber gab, welche speziellen Leistungsparameter erfüllt werden müssen. Als Ergebnis der Schießerei von Miami und anschließender Aktivitäten von US-Polizeien wurde das „FBI test protocol“ geschaffen, ein „standard test for law enforcement handgun ammunition“. Die Zusammenfassung umfangreicher Untersuchungen und Diskussion lautet: „that a large caliber bullet weighting 155 to 180 grains driven at an average velocity of 1100 fps is a good starting point in the selection of law enforcement duty ammunition“.
Im Ergebnis wechselten FBI und US Border Patrol (USBP) – eine Grenzschutzorganisation, die täglich an Schusswechseln mit teilweise schwer bewaffneten Kriminellen beteiligt ist – zum Kaliber .40 Smith & Wesson, wobei das FBI ein 189 grain Geschoss (1000 fps) und die USBP ein 155 grain Geschoss (1170 fps) einsetzt. Bei der Messung setzte die USBP allerdings als einzige nicht auf Messläufe und andere Künstlichkeiten, sondern auf Werte auf tatsächlichen Dienstwaffen: „The 155-grain .40 caliber gave us .357 Magnum Ke levels and .45 ACP momentum levels all in one package“.
Natürlich brachte diese USBP-Patrone einen stärkeren Rückschlag hervor als die FBI-Patrone. Betrachtet man die One-Shot-Stops der USBP mit verschiedenen Kalibern aus tatsächlichen Feuergefechten, kommt die .40 S&W (155 gr JHP) auf Werte von 88-97 Prozent, die .38 Special (P+ 110 gr JHP) auf 83 Prozent und die 9 x 19 (P+ 115 grain JHP) auf 90-93 Prozent.

"Schreibstubenhengste"
An der Beschreibung der Geschoss- und Kaliberauswahl fehlt eine entscheidende Komponente: Die politische. Wie der ehemalige US-Elitepolizist und legendäre Schütze Jim Corillo, später ein bekannter Schießlehrer und –trainer, schreibt entsprach die Schießausbildung der Polizei nicht nur selten den tatsächlichen Anforderungen auf der Straße, sondern es war auch ein offenes Geheimnis, dass die .38er und 9 x 19-Laborierungen zu wirkungsschwach waren („After engaging in several firefights as a member of the NYCPD Stakeout Squad, I opted to use a weapon that allowed a greater application of power than the standard police .38 Special“) und selbst Herzschüsse nicht sofort tödlich waren.
Er ließ sich seine Waffe mit einem neuen vierzölligen Lauf so modifizieren, dass sie ein Geschoss verfeuert „125-grain cup-point half-jacketed wadcutter traveling between 1,250 und 1,300 fps“.
Wer, der sich als Polizist oder Soldat dem Feuer aussetzt, kennt nicht die politischen, pseudohumanitären Vorbehalte gegen wirksame Waffen und Munition – sei es in Aachen oder Afghanistan, gehe es um die Panzerhaubitze 2000 oder um eine neue Dienstpistole. Das ist in den USA nicht anders: Cirillo wird von der gleichen Sorte Leute, die nach der Schiesserei in Miami die toten und schwer verletzten Agenten betrauern, vorgeworfen, er propagiere inhumane Munition, als er nach Hohlspitzgeschossen verlangt. Wie vertraut klingen seine Beschreibungen von Diskussionen um die politisch korrekte Wortwahl: „What translates into stopping power or, more realistically, what will destroy the target best? Stopping power comes from the handgun bullet’s ability to destroy as much of the portion of the target it strikes. This destruction should occur as deep into the target as possible, and it should be in as wide an area around the bullet path as possible”.
Cirillo weiß, wovon er redet, er wurde Mitglied der New Yorker Spezialeinheit erst nach 15 Jahren normalem Polizeidienst, in denen er seine Waffe genau ein Mal einsetzte. Zwei Stunden nach seinem Eintritt bestand er den ersten Schusswechsel gegen drei bewaffnete Räuber.
Interessanterweise und aus einem ganz anderen Kontext heraus beendet Cirillo sein Buch mit der Überlegung, welche Waffe er heute out of the box wählen würde. Es ist eine Glock in .40 S&W.

Gedenkstein in Miami
       
Kurzwaffenmunition heute
In den USA reichen die verfügbaren Kaliber für Law Enforcement-Personal von .40 S&W über .357 SIG bis zu den beiden "Oldies" 9 x 19 und .45 ACP. Das Kaliber .40 S&W ist durch die Verwendung in mehreren Bundesbehörden tonangebend (auch wenn das Militär – wenigstens die normalen Einheiten auf der 9 x 19 beharren). Die .357 SIG hingegen wird u.a. von der Delaware State Police, der Virginia, New Mexico und Conneticut State Police, der örtlichen Polizei in Dallas/Texas und den US Sky Marshalls benutzt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie die .40 S&W irgendwann ablöst. Wie Marshall und Sanow schreiben, mag die .357 SIG nicht mehr One Shot Stops erzielt haben, aber ihre Leistung im Vergleich zum Rückstoss und damit zur Beherrschbarkeit der Waffe ist einzigartig und betrifft nicht nur die direkte Wirkung gegen Menschen, sondern auch die Wirkung durch Medien wie Autoglasscheiben, Autotüren und dicke Bekleidung. Letztlich ist die Auswahl von Polizeimunition immer ein Kompromiss angesichts unterschiedlicher Erfahrung, Größe, körperlicher Konstitution, Kleidung und Übungstätigkeit der betroffenen Polizisten. Der Lehrsatz für den zivilen Schützen (der in Deutschland aufgrund des restriktiven und damit letztlich – wie Medienberichte täglich beweisen – hilflos machenden Waffengesetzes unwichtig ist) heißt: „You should use the most powerful handgfun that you can shoot well and carry comfortably“ und gilt für die Männer und Frauen, zu deren Beruf es gehört, sich bewaffneten Kriminellen entgegenzustellen, nicht.
    
Literatur
- Jim Cirillo: Guns, Bullets and Gunfights. Lessons and Tales from a Modern day Gunfighter. Boulder 1996. (Ein einmaliger und spannender Erlebnisbericht eines ehemaligen Elitepolizisten der New York City Police Department Stakeout Squad, Schießlehrers und Experten).
- Evan P. Marshall und Edwin J. Sanow: Stopping Power. A Practical Analysis of the Latest Handgun Ammunition. Boulder 2001. (Ein praxisnahes Buch mit vielen Untersuchungen zu modernen Kurzwaffenkalibern, das man immer wieder zur Hand nimmt).
- Frank Metzner und Joachim Friedrich: FBI. Ein Jahrhundert Verbrecherjagd. Stuttgart 2008. (Ein hervorragend recherchiertes und auch von den Bildern her erstklassig ausgestattetes Buch).