Kampfmesser

Der Einsatz der blanken Waffe wie eines Messers wird anders betrachtet als der Einsatz von Schußwaffen oder gar modernen Waffensystemen: als brutaler, schmutziger und schwieriger. Dennoch gibt es nur wenige Waffen mit einer derartig großen kulturhistorischen Bedeutung.

Das Messer ist eine Waffe und ein Werkzeug, dass in allen Gesellschaften seit der Steinzeit auftaucht: als Klinge und später mit behelfsartigen Griffen und zwar geschliffen aus Stein, Knochen, Muscheln, Holz und anderen Materialien.Im Wörterbuch der Völkerkunde heißt es:
        
"Die einfachsten Formen des Messers sind Steinabschläge, die unbearbeitet einfach zugeschlagen oder mit Randretuschierung [Schleifen, Sägen, Lochen] versehen sein können. Diese Stein- oder Schieferklingen werden einfach in der Hand geführt, oder sie weisen eine Schäftung mittels Holz, Pechmasse, oder Horn auf. Auch aus Muschelschalen, Hartholz oder Bambus werden Messer hergestellt."
             
Je weiter sich die Menschen entwickelt haben, desto spezieller wurden die Werkzeuge und Messer dienten immer unterschiedlicheren Aufgaben: als Schmuck und zur Zeremonie, für den Kampf, das Kochen und die Nahrungsaufnahme, für die Verarbeitung von Wild und Vieh in verschiedenen Schritten (Häuten, Aufbrechen, Zerteilen etc.) oder die Bearbeitung von verschiedenen Materialien (Holz, Fell, Pflanzen etc.).

Randall #1 All Purpose Fighting Knife

Kampfmesser erfüllen in Geschichte und Gegenwart mehrere Funktionen: sie sind letztes Widerstandsmittel, wenn die Munition verschossen ist, sie werden zum lautlosen Töten (z.B. von den britischen Kommandos im Zweiten Weltkrieg) oder für den Nahkampf auf engsten Raum (z.B. die Grabendolche des Ersten Weltkrieges) eingesetzt oder sie dienen zur Selbstverteidigung, wenn keine Schußwaffen eingesetzt werden dürfen (z.B. für Zivilisten in der heutigen Zeit). Sie werden in Ergänzung zu anderen Waffen eingesetzt (z.B. zusammen mit dem Tomahwak oder dem Rapier) oder für Spezialverwendungen (z.B. der "Gnadegott" im Mittelalter zum Durchstechen von Panzern).
Nahkampfexperte Rex Applegate schrieb im Zweiten Weltkrieg zum Messerkampf:
     
"In the present conflict, the fighting knife has two main uses, one as a reserve weapon to be used when all else fails, and the other for specific missions such as assassination, sentry killing, or in any situation where silence and quick killing efficiency is desired. That it is important as a major ewapon for troops has lately become more evident ... although  little definite instruction in its use seems to have been given to the troops carrying them." Close-Combat Files of Colonel Rex Applegate
        
Heute spielen für die meisten Kampfmesser auch weitere Verwendungensmöglichkeiten eine Rolle: Kappen von Seilen, Aufbrechen von Kisten, Aufhebeln von Türen etc.
Kampfmesser werden und wurden deshalb nicht nur von Soldaten und Polizisten geführt, sondern auch von ganz normalen Bürgern und zwar in Form von Klappmessern oder feststehenden Messern, und mit so gut wie jeder Klingenform.
Im Folgenden sollen einige Beispiele betrachtet werden.
         
"Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein haben die Armeen der westlichen Hemisphäre dem Messer und dem Messerkampf immer weniger Bedeutung beigemessen. Es hatte sich, als Folge der zunehmenden Technisierung des Kriegswesens, die Ansicht durchgesetzt, dass Kriege fortan nicht durch den Nahkampf zwischen einzelnen Soldaten, sondern durch masssiven Einsatz von Artillerie, Panzern, Flugzeugen und Schlachtschiffen entschieden werden". Wolfgang Michel
         
       
Jim Bowie und The Alamo
James "Jim" Bowie (1796 - 1836), der Politiker, Soldat und Trapper aus Louisiana, gehört heute zu den legendären Figuren in der US-Geschichte. In einer bewaffneten Auseinandersetzung auf einer Sandbank im Mississippi soll er 1827 ein spezielles Messer mit großer Entenschnabelklinge erfolgreich eingesetzt haben. 1836 fiel er an der Spitze seiner Männer in der ehemaligen Mission The Alamo im Unabhängigkeitskampf der Texaner gegen die Besetzung Mexikos. Bowie-Messer haben seit dem eine Rolle bei der Selbstverteidigung im Westen der USA und bei allen Kämpfen von US-Soldaten gespielt und wurden in vielen Filmen legendär (z.B. "The Iron Mistress", Deutsch "Im Banne des Teufels" oder "The Alamo").
         
Jim Bowie
                              
Früher Massenprodukt (z.B. aus dem britischen Sheffield oder aus San Francisco), sind Bowie-Messer heute auch im Portfolio von deutschen Schmieden wie Böker und Lindner, die ein Bowie mit unterschiedlicher Klingenlänge (18, 20 und 25 cm) und Holz- bzw. Horngriff herstellen.

Linder Bowie und Gränsfors Tomahawk

Aus dem Original-Bowie enstand eine Reihe von modernen Abwandlungen wie z.B. für den Vietnam-Krieg das SOG-Bowie (SOG = Study and Observation Group) oder im Zweiten Weltkrieg 1942 auch das "MK II" bzw. "Ka-Bar" von United Cutlery und anderen Herstellern.
                     
              
Grabendolche und Behelfsmesser des Ersten Weltkrieges
Typisch für die Vernachlässigung des Messerkampfs ist auch die kaiserliche deutsche Armee 1914. Zwar führten viele der Soldaten einen Begleiter mit sich, der auch heute noch hergestellt wird und eines der weltbesten EDC-Messer darstellt: das sogenannte Kaiser Wilhelm-Messer, aber dennoch spielten das Messer und der Messerkampf eine so geringe Rolle, dass bei fortgesetztem Grabenkrieg Rückgriff auf zivil beschaffte Messer genommen werden mußte - vergleichbar der kläglichen Ausstattung mit Scharfschützengewehren, die durch Jagdgewehre substituiert werden mußten (die in Deutschland 1914 im Gegensatz zu anderen Ländern wenigstens systematisch zivil beschafft wurden).
Böker hat vor wenigen Jahren einen "Grabendolch" aus dem Ersten Weltkrieg neu aufgelegt, der bis heute erhältlich ist - für das Unternehmen nichts Neues, denn Böker gehörte schon 1914 zu den Herstellern solcher Blankwaffen. Ein Visier-Spezial "Militär-Messer" zeigt u.a. eine gute Auswahl dieser deutschen Messer und stellt zu improvisierten Kampfmessern, einem faszinierenden Sammelgebiet, fest:

"Nach der Devise 'Selbst ist der Mann' fertigten die Grabenkämpfer in großem Stil ihre Behelfswaffen in Feldschmieden und Werkstätten hinter der Front. Dazu dienten vor allem eigene oder erbeutete Seitengewehre oder ausgemusterte Blankwaffen: Aus mancher Degen- oder Säbelklinge ließen sich gleich zwei oder sogar drei Dolche gewinnen."
        
     
Fairbarn-Sykes-Dolch im Zweiten Weltkrieg
Im Zweiten Weltkrieg entwickelten zwei Briten, Nahkampfexperten und ehemalige Polizeioffiziere aus Shanghai, damals eine der gefährlichsten Städte der Welt, nämlich William Ewart Fairbarn und Eric Anthony Sykes, ein Nahkampfprogramm und Schießtraining für die britischen Streitkräfte - insbesondere für Spezialkräfte. Dass Fairbarn im Jahr 1940 bereits 55 und Sykes 57 Jahre alt war, hinderte sie nicht daran, als Experten anerkannt zu werden und viele ihrer Schüler in den besten Jahren auf den Boden zu schicken. Die beiden entwickelten das Fairbarirn-Sykes-Kampfmesser, einen schlanken, spitzen Dolch, der alsbald in Serienproduktion ging und als Nachbau bis heute erhältlich ist (und immer noch von Militärs z.B. indonesischen Spezialkräften der Einheit "Kopassus" geführt wird). Die Kriegsware aus Großbritannien war jedoch nicht frei von Mängeln, insbesondere wegen zu großer Klingenhärte, die die Spitze abbrechen ließ.
    
"The knife is a silent and deadly weapon that is easily concealed and against which in the hands of an expert, there is no sure defense, except fire-arms or by running like hell." SOE Syllabus. Lessons in Ungentlemany warfare, World War II
    
Spezialausbildung im Nahkampf war aber nicht nur für die Briten wichtig, sondern auch für die Amerikaner. Fairbarn und der Amerikaner Rex Applegate waren Teil eines ähnlichen Programms zur Kommandoausbildung in Camp Ritchie in Maryland/USA. Fairbarn und Applegate überarbeiteten das vorangegangene Kampfmesser und entwickelten das Applegate-Fairbarn-Knife im Jahr 1943, das zum ersten Mal 1944 hergestellt wurde. Es handelt sich um einen hochbelastbaren, kompakten Dolch, der heute von der Solinger Firma Böker hergestellt wird.
          
Applegate-Fairbarn-Dolch von Böker in der Ausführung mit geschwärzter Klinge
        
    
Warschauer Pakt
Der Warschauer Pakt legte - insbesondere bei seinen Spezialkräften und Eliteeinheiten - mehr Wert auf die Ausbildung der Soldaten im Messerkampf als die NATO. Einige Beispiele:
     
Die Fallschirmjäger der NVA verfügten zu verschiedenen Zeitpunkten über: ein Kappmesser (für den Fallschirmdienst), einen Kampfdolch (in einer speziellen Beintasche mitgeführt) und Seitengewehre für die Langwaffe (z.B. Modell 59 und 74, beide mit 15,2 cm Klinge und Drahtschneider in der Scheide). Ein neues "Kampfmesser 87" wurde gegen Ende der DDR noch erprobt, aber nicht mehr eingeführt. Andere Truppenteile verwendeten ihre Seitengewehre als Kampfmesser.
       
Ähnliches galt für andere Warschauer Pakt-Streitkräfte wie die polnischen, tschechischen oder sowjetischen. Selbst Übungsmesser oder ebensolche Seitengewehre waren für die Nahkampfausbildung vorhanden - ein unvorstellbarer Zustand für die deutsche Bundeswehr mit ihrem im Kalten Krieg qualitativ minderwertigen Kampfmesser (1968 eingeführt, Beschaffung 1992 eingestellt), ihrem alten Taschenmesser mit nicht-feststellbaren Klinge oder dem nie eingeführten Seitengewehr für das Gewehr G3.
     
Auch die meist westdeutschen Diversanten, die von der DDR für den Fall einer bewaffneten Auseinandersetzung als Fünfte Kolonne ausgebildet wurden, erhielten ein intensives Nahkampftraining, das auch den Umgang mit Hieb- und Stichwaffen beinhaltete. So heißt es in einem Buch über diese Einsatzkommandos:
      
"Es wurde geübt, wie man Menschen ersticht, erschlägt und erwürgt: 'Der Angriff mit der Stichwaffe wird geführt durch: Stich von oben, Stich von unten, Stich seitlich von außen, Stich seitlich von innen. Der Angriff mit Hieb und Schlagwaffen wird geführt durch: Schlagring, Beil, Spaten, Stock, Pistolengriff, Messerknauf, Kabel, Eisenstange, Holzknüppel, Schlauch mit Sand oder Blei gefüllt, Sandsack.'"
        
     
Messer im Kampfeinsatz heute
Wie gesagt stellt ein Messer nicht deshalb ein Kampfmesser dar, weil es eine feststehende Dolchklinge hat. In dem Buch "Messer im Kampfeinsatz" zeigen Dietmar Pohl und der Fotograf Carl Schulze anhand zahlreicher Beispiele vom Balkankrieg, aus dem Irak und Afghanistan, dass die Mehrzahl der Messer Allround-Eigenschaften als Waffe und Werkzeug hat. Mehr noch: Es werden meistens ein großes und ein kleines Messer bzw. Tool mitgeführt und zwar aus dem mittleren oder unteren Preissegment. Die Soldaten kaufen sich diese privat und rechnen mit einem Verlust und starker Beschädigung ihres Messers, so dass für mehrere hundert Euro teure Sonderanfertigungen kein Platz auf dem modernen Schlachtfeld ist. Damit tun diese Soldaten genau dass, was vor ihnen Jäger und Trapper und heute auch der Auslandsjäger tun.
Auch der Verfasser dieser Zeilen hält es so: Ein großes und schweres Messer mitführen, dass am Koppel als Selbstverteidigungswaffe und Abfangmesser mitgeführt wird; ein Tool und eine feine Klinge zum Aufbrechen und Zerwirken von Wild im Rucksack.

Ka-Bar USMC-Kampfmesser mit 7-Zoll-Klinge
    
"Während in Europa Schwerter zumeist Adel und staatliche Gewalt symbolisieren, findet sich der messerstechende Straßenräuber schon immer in Erzählungen. Schiebt man diese Klischees einmal zur Seite, so stellt man fest, dass das Messer ein sehr effektives und einfaches Werkzeug zur Selbstverteidigung darstellt." Florian Lahner
          
     
Ultima Ratio in Afrika: Pohl Force Alpha Three mit Griffstück "Desert"
                 
Dietmar Pohl ist einer der deutschen Messerexperten. Nach Stationen bei Eickhorn und Böker gründete er seine eigene Firme Pohl Force. Er ist bekannt für enge Kontakte zu Militär und Polizei. Wesentlich sind seine legendären Entwürfe der Alpha-Linie. Ihnen ist zu eigen, dass sie über sehr große, handschuhtaugliche Griffe verfügen, sowie über Glasbrecher am Ende des Griffs und schwarz PVD-beschichtete Klingen (Spear Point bzw. Tanto). Die Griffstücke gibt es in schwarz und desert. Ebenso gibt es eine glatte Klinge und eine mit Wellenschliff.
           
"The heart of a fighting knife is the blade. It should be 5 to 7 inches in lengths, double-edged, and wide enough to be razor sharp on both sides all the way back to the cross guard. The point must be sharp enough to penetrate and thick and tough enough to withstand side pressure". Rex Applegate
         
An anderer Stelle wurde bereits das neue Kampfmesser 2000 der deutschen Bundeswehr ("Kampfmesser Infanterie") besprochen, das seit 2003 in der Truppe ist. Es verfügt über eine Tanto-Spitze, ein Schlagelement am Griffende und eine mittels Kalgard-Beschichtung geschwärzte Klinge (Klingenlänge 17,2 cm, Klingenstärke: 5 mm). Die nicht militärisch eingeführte Weiterentwicklung der KM-Serie in Richtung Dolch ist das "Kampfmesser 5000" bzw. "Recondo IV" mit Dolchklinge (Klingenlänge  17,2 cm, Klingenstärke: 5 mm).
                    
         
Eickhorn-Messer "Recondo IV" - Äußerst belastbare Dolchklinge
               
    
Literatur
- Rex Applegate: Combat Use of the Double-Edged Fighting Knife. Boulder, Paladin Press, 1993.
- Rex Applegate und Check Melson: The Close-Combat Files of Colonel Rex Applegate. Boulder, Paladin Press, 1998.
- Thomas Auerbach: Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front. Berlin, Ch. Links Verlag, 1991.
- Karl-Heinz Dissberger: Vom Himmel auf die Erde ins Gefecht. Die Fallschirmjäger der NVA. Zürich, Düsseldorf, Kabinett Verlag 1999.
- Walter Hirschberg (Hg.): Neues Wörterbuch der Völkerkunde. Berlin, Dietrich Reimer Verlag, 1988.
- Florian Lahner: Verteidigung mit dem Messer. Technik, Training, Taktik. Bad Aibling, Wieland Verlag, 2009.
- Wolfgang Michel: Das Fairairn-Sykes Kampfmesser. Symbol britischer Guerillakriegsführung im Zweiten Weltkrieg. Norderstedt, Books on Demand, 2008.
- N.N.: Visier Special Nr. 12. Militär Messer. Paul Parey Verlag 1998.
- N.N.: SOE Syllabus. Lessons in Ungentlemanly Warfare, World War II. (Nachdruck eines Ausbildungshandbuchs britischer Spezialkräfte 1940 aus dem Jahr 2001). 
- Dietmar Pohl und Carl Schulze: Messer im Kampfeinsatz. Bad Aibling, Wieland Verlag, 2009.
- Matthias Recktenwald: Bowie Messer. Ein amerikanischer Mythos. Stuttgart, Motorbuch Verlag, 2003.